Hektik in Lampenberg
Lampenbergs berühmteste Söhne sind Philipp und David Degen. „Rotweiss“ begleitete die Zwillinge auf ihrem Heimaturlaub und zog mit ihnen eine offene Bilanz über ihre Zeit in der Bundesliga.
Für einen kurzen Moment kommt Hektik auf im kleinen Dorf Lampenberg mit seinen nicht mal 500 Einwohnern. Das Plätschern des Dorfbrunnens wird übertönt. Gleich gegenüber sind zwei schwarze Autos mit deutschen Kennzeichen vorgefahren und kaum sind die beiden jungen Fahrer ausgestiegen, füllt sich die Umgebung mit der Energie der beiden. Philipp und David Degen, die beiden berühmtesten Söhne von Lampenberg, sind auf Heimaturlaub – und es gibt kaum einen, der die hektische Ankunft nicht mitbekommen würde.
Showtime auf dem Bolzplatz. An der Hauptstraße im Herz von Lampenberg steht das Elternhaus, der Großvater wohnt gleich an der nächsten Haustüre. Und an den Weitläufigen Hinterhof grenzt er, der Rasen, an dem vor vielen Jahren alles begann. Der bolzplatz hinter dem Gemeindehaus war schon früh der beste Freund der Degen-Zwillinge. „Jede freie Minute haben wir dort verbracht, oft gegen ältere Jungs aus dem Dorf Gespielt“, erinnert sich Philipp. Und dort fanden noch später, als die Degens schon den Schritt in den professionellen Fußball getan hatten, abends nach all den Trainings noch Sonderschichten statt. Eins gegen eins, Philipp gegen David. Showtime á la Degen.
Für Betrieb haben sie in Lampenberg schon immer gesorgt. Sei es in der Schule, nur zwanzig Schritte von der eigenen Haustüre entfernt, sei es am Kinderfasnachtsumzug, als sie hinter ihren Larven ihr Unwesen trieben und einer älteren Frau beim Konfettisegen die Brille ruinierten. Von den Fensterscheiben bei den Nachbarn ganz zu schweigen. „Wo wir waren, passierte immer was, wir waren die Schrecken des Dorfes.“ Mit sechs Jahren fuhren sie runter ins Tal, nach Oberdorf, dem nächst gelegenen Fußballclub. David stellt sich bei den F-Junioren ins Tor, präsentierte stolz seine neuen Handschuhe, die ihn an diesem Posten am meisten faszinierten. Erst bei den D-Junioren zog es auch David Degen aufs Feld – die aufgestaute Energie der ersten Monate im Vereinstor musste sich in unwiderstehlichen Angriffen entladen. Heini Keller, ein erfolgreicher Amateurtrainer in der Region Basel, hatte sich in Oberdorf im Pensionsalter den kleinsten Junioren angenommen. „Er sagte früh, ihr zwei schafft es einmal“, weiß David. Nicht alle Trainer liebten die beiden rastlosen Zwillinge – und längst nicht alle Trainer wurden Freunde der beiden. Als sie später beide bei den Junioren des FC Basel landeten, wurde ihnen von den technischen Verantwortlichen bald beschieden, eine Trennung sei für ihre weitere Entwicklung das Beste. Sie, die sich ein Leben ohne den anderen bis dahin und später noch lange nicht vorstellen konnten, brachten wenig Verständnis für diese Sicht der Dinge auf. David wechselte danach zum FC Aarau, er machte rasante Fortschritte, trainierte als 17-Jähriger in der ersten Mannschaft unter Rolf Fringer und erzielte in seinem ersten Spiel in der höchsten Liga gegen die Grasshoppers gleich ein Tor. In Basel gab es mittlerweile Techniker, die sich ein Zusammenspiel der beiden Degens in derselben Mannschaft sehr wohl vorstellen konnten. Christian Gross gehörte zu ihnen, auch Erich Vogel, der damalige Sportchef. Nun waren sie wieder vereint, auf höchstem Niveau und noch immer bekommen sie wässrige Augen, wenn sie von jenen Spielen im Herbst 2003 schwärmen, da gleich sechs Basler auf dem Feld standen: die Yakins, Marco Streller, Benjamin Huggel und natürlich sie beiden. Keiner aus diesem Sextett spielt heute mehr für die Rot-Blauen, gut findet das keiner. Auch die Degens lockte irgendwann die nächste Herausforderung. Philipp wechselte im Sommer 2005 zu Borussia Dortmund und wenn er heute, zwei Jahre später, auf seine Auftritte zurückblickt, dann sagt er: „Ich habe drei Trainer und viele Tiefs erlebt.“ Mit Bert van Marwjik, dem holländischen Trainer, kam er schnell nicht mehr zurecht, er litt darunter, dass seine Spielweise stets kritisiert wurde und er nicht mehr frei von der Leber weg spielen konnte, wie das Christian Gross in Basel noch zugelassen hatte. Die Suche nach der richtigen Dosierung zwischen defensiver Zuverlässigkeit und offensiver Unberechenbarkeit dauerte lange und eigentlich ist sie noch immer nicht ganz beendet. Er sagt, dass „wenn ich nach oben will, auch wissen muss, wie es unten ist“, dass diese Lehrzeit wichtig für ihn war und er nun „für alles gewappnet“ sei. Vom neuen Trainer Thomas Doll hält er sehr viel und er hofft, dass er nun jenes Vertrauen erhält, das er braucht. Denn so vorlaut und forsch die Degens manchmal sind, sie reagieren sehr sensibel, wenn sie glauben, ungerecht behandelt zu werden.
David spürte das in seiner ersten Bundesligasaison bei Borussia Mönchengladbach gleich in zwei Stufen. Eine Adduktorenverletzung („meine erste Blessur in der ganzen Karriere“) hatte ihn kurz vor dem Saisonstart zurückgeworfen, danach musste er sich unter Jupp Heynckes gedulden. Mitte Oktober kams zum Debüt, gegen Wolfsburg wurde er zehn Minuten vor Schluss eingewechselt und setzte sich imposant mit einem herrlichen Tor zum 3:1 in Szene. Als er später wieder nur Reservist war, forderte er öffentlich mehr Einsatzzeit. Ein Fehler, wie er heute einsieht. Im Winter hatte sich die Situation nicht wesentlich gebessert. David Degen dachte an ein Leihgeschäft, er wollte spielen, denn ein Degen, der spielt, ist schwer zu bremsen, aber einer, der nicht spielt, ist schwer auszuhalten. David legte eine starke Vorbereitung aufs Parkett, er traf in jedem Testspiel und Heynckes beschied ihm, nun voll auf ihn zu setzen. Das geschah auch, doch nach zwei Spielen in der Rückrunde war der Trainer schon nicht mehr da. Der Nachfolger war der bisherige Assistent Jos Luhukay – und mit ihm begann eine lange Schlaufe von gegenseitigem Unverständnis. Schon im ersten Spiel unter Luhukay sah sich David Degen auf der Bank, auch in der Folge wurde er nicht berücksichtigt, mit dem Trainer gab es kein Gespräch, die Mannschaft holte keine Siege und bei Degen schwirrten die Gedanken. Dann kam sie doch noch, die Chance, er durfte – wieder gegen Wolfsburg – spielen, er hatte viele Tore auf dem Fuß, traf aber nicht. Nach dem Spiel in Berlin wurde er trotz einem 3:1-Sieg für sein defensives Verhalten kritisiert, gegen Leverkusen erfüllte er die Aufgabe, Marko Babic zu neutralisieren, nachweislcih einwandfrei. Es folgte die Reise mit der Nationalmannschaft in die USA mit nur zehn Minuten Spielzeit in zwei Tests – und als er nach Mönchengladbach zurückkehrte, hatte er schon im Training das Gefühl im Bauch: am Samstag saß er nur auf der Tribüne. Daran änderte sich nichts in den nächsten Partien, bis ihn ein Journalist darüber informierte, der Trainer hätte gesagt, David Degen spiele in der nächsten Partie von Anfang an. „Ich dachte, das kann doch nicht sein, aus der Stammformation auf die Tribüne und von dort direkt wieder in die Stammformation. Und das ohne ein Wort des Trainers.“ Es stand so in der Zeitung und statt in der Startelf stand Degen wieder im Abseits. Nach all den Vorkommnissen kam er zum Schluss, „der Trainer mochte einfach meine Art nicht“. Doch auch er sagt, er habe viele Fehler gemacht und er wolle daraus lernen, nun „den richtigen Mittelweg“ zu finden. Eine Zukunft in Mönchengladbach gibt es nach dem Abstieg in die 2. Bundesliga unter Jos Luhukay ohnehin nicht mehr. David Degen wird wechseln, mutmaßlich zu Celtic Glasgow, wo er vom Club bei einem Besuch herzlich empfangen wurde und „sehr beeindruckt“ gewesen sei. Es gibt noch Optionen in der Premier League oder sonst wo. Die Intensität der Anrufe und SMS auf den Handys suggeriert, dass beide Zwillinge auf dem Markt begehrt sind. Irgendwann werden sie auch wieder zusammen spielen, vielleicht bald im Nationalteam, aus dessen engerem Kader David zuletzt wegen der Situation im Club ausgeschieden ist. „Ich will meinen Platz zurückerobern und auch einmal von Beginn an spielen. Und ich will für die EURO 08 eine Rolle spielen.“ Er weiß, dass er dazu nun Im neuen Club sein verlorenes Jahr in Mönchengladbach aufholen muss. „Sportlich war es verloren, ja, aber menschlich habe ich profitiert“, sagt David Degen.
Es ist nun schon langsam dunkel geworden über Lampenberg auf dem Juraplateau im oberen Baselbiet, dort, wo der Degen-Clan einen landschaftlich traumhaft gelegenen Golfplatz hatte realisieren wollen, aber vor der Gemeindeversammlung scheiterte. Auch an der Hauptstraße ist es wieder ruhig geworden, das Wasser im Dorfbrunnen plätschert, die Kuh im Stall gegenüber gibt einen letzten Abschiedsgruß. Gute Nacht, Lampenberg. Morgen früh sind sie wieder wach, die Degens.
(von Daniel Schaub)