Der WM-Traum der Degen-Zwillinge
David und Philipp Degen reisen gemeinsam mit der Nationalmannschaft an die WM; damit erfüllt sich für die 22-jährigen Zwillinge ein Traum.
Sascha Rhyner / Quelle: Si / Freitag, 26. Mai 2006 / 17:29 h
Erstmals seit dem Wechsel von Philipp zu Dortmund vor einem Jahr sind sie wieder einem Team vereint. Sie sind kaum auseinanderzuhalten, sie sind ein steter Unruheherd auf und neben dem Feld, und sie können vor allem kaum eine Minute ruhig stehen. Wo Philipp ist, ist David nicht weit - und umgekehrt. Beide mögen am liebsten Schnitzel mit Pommes Frites, beide essen nicht gerne Fisch, und oft gehen sie gemeinsam zum Shopping. Einen herumliegenden Ball benützen sie sofort zum Jonglieren (David: «Ich kann einen Ball nicht einfach ruhig liegen lassen»), und im Spiel haben sie einen unbändigen Drang nach vorne. Dies brachte ihre Trainer regelmässig an den Rand der Verzweiflung. «Ich weiss, dass wir nicht die Einfachsten sind», sagt Philipp. Es muss immer etwas laufen, und das provoziert auch Sprüche in der Umgebung. Ihre technischen Fertigkeiten eigneten sich die Brüder nicht nur auf dem Trainingsplatz an. David geht noch heute in seiner Freizeit auf den Turnplatz des Wohnorts Lampenberg, um neue Tricks einzuüben oder Gelerntes zu verbessern. «Auf dem Teerplatz - da ist es einfacher», ergänzt er.
Einen Hund als zweites Hobby
Seit Beginn dieses Jahres hat David Degen, der noch zuhause wohnt, ein zweites Hobby; er legte sich einen tschechisch-slowakischen Wolfshund zu. Mit dem fünf Monate alten «Ares» geht er - zusammen mit seiner Mutter - brav zur Hundeschule. «Er gehorcht schon nicht schlecht, aber es braucht viel Arbeit.» Der Offensivgeist trug Rechtsverteidiger Philipp zuletzt in Dortmund Kritik ein - von Trainer Bert van Marwijk wie auch von der Presse. «Ich kam ans Limit», gibt er zu, aber Speler wie der Goalie Roman Weidenfeller hätten ihn in dieser schwierigen Phase hervorragend unterstützt. «Es ist ja bekannt, dass wir viel Selbstvertrauen haben, da brauchen wir eben auch einmal ´eis uf de Deggel´», erklärt Philipp. Man könne zehnmal hinfallen, müsse aber auch elfmal wieder aufstehen. Er habe gelernt, dass er zuerst hinten rechts dicht machen müsse. «Es bringt nichts, wenn ich zwar zehn offensive Aktionen habe, aber hinten zehnmal vorgeführt werde.»
Lernen, auf andere zu hören
Das Jahr in Dortmund habe ihn trotz aller Schwierigkeiten «persönlich, menschlich und fussballerisch» weitergebracht, sagt Philipp Degen. «Ich musste lernen, auf andere zu hören und auch etwas anzunehmen, das andere sagen», erklärt er. Auch sein Bruder attestiert ihm grosse Fortschritte. «Chapeau, was er in diesem Jahr gelernt hat», so David, der als der Ungeduldigere von beiden gilt. Dass sie nun zusammen im WM-Kader der Schweiz stehen, bezeichnen beide als «sensationell» und als «Traum, der in Erfüllung ging». Obwohl sie an ihren üblichen Arbeitsorten rund 500 Kilometer auseinander wohnen, pflegen sie den täglichen Kontakt. «Meine Telefonrechnung ist im letzten Jahr ziemlich in die Höhe geschnellt», erzählt David lachend. «Ein Herz und eine Seele» seien sie, ihre Meinungen deckten sich zu «95 Prozent».
Der Zusammenhalt macht sie stärker
Der Zusammenhalt mache sie stärker. Bevor er ein Problem mit der Familie anspreche, rufe er seinen Bruder an, sagt David. Nur einmal mochte er einen Anruf von Philipp nicht entgegennehmen. Als Basel in buchstäblich letzter Sekunde die Meisterschaft verloren hatte, war ihm nicht nach einem Gespräch mit dem Bruder zumute. Der Aufsteller folgte am Tag danach mit dem WM-Aufgebot. «Ein Leben ohne ´Phippe´ könnte ich mir nicht vorstellen», erzählt der Ältere der Zwillinge. «Ich habe den Ausgang nicht gefunden», witzelt der 30 Minuten später geborene Philipp. Sie würden sich gegenseitig anstacheln, um immer noch mehr aus sich herauszuholen. «Wir sind gegenseitig sehr kritisch», so Philipp. Differenzen hatten sie zuletzt nur wegen Davids neuer Frisur mit dem aufgestellten Kamm. «Spinnsch, Dave», sei Philipps erste Reaktion gewesen. «Das kann ja nicht sein - und dann noch blondiert.» Und David ist überzeugt, dass er die Frisur nicht gemacht hätte, wäre sein Bruder noch in der Schweiz gewesen. «Aber man kann ja nicht immer gleich bleiben.»