„Auf dem Platz hört es auf“
Die enge Verbundenheit zu seinem Zwillingsbruder hat bei David Degen auch ihre Grenzen
Für Psychologen sind Zwillingsbrüder interessante Studienobjekte. Wenn sie einen ähnlichen Lebenslauf vorzuweisen haben, wird es noch interessanter. Demnach müssten die Bundesligastadien eigentlich Tummelplätze für Psychologen sein. Neben den Altintops (beide Schalke) sind David und Philipp Degen aktuell das zweite Zwillingspärchen in der höchsten deutschen Spielklasse. Philipp spielt seit letzter Saison in Dortmund, David kam vor dieser Saison frisch zur Borussia. Dass sie eine besondere Beziehung pflegen, versteht sich da eigentlich von selbst.
Fohlenecho:
Relativ zeitig war klar, dass du wegen deiner Verletzung das Duell gegen deinen Zwillingsbruder auf die Rückrunde verschieben musst. Wie wirst du das Spiel verfolgen?
David Degen:
Ich werde natürlich im Stadion sein. Dass ich selber nicht mitwirken kann, ist natürlich hart. Mein Bruder kommt im Dortmund-Trikot. Er wird hierhin kommen, um was zu zeigen. Das weiß ich, ich kenne ihn. Das Spiel ist schon etwas Besonderes für mich. Natürlich hätte ich gerne auch schon früher gespielt, wollte zum Saisonstart dabei sein. Zuletzt hatte ich dann das Ziel, gegen Aachen wieder fit zu sein, und als klar war, dass auch das nicht klappt, wollte ich natürlich unbedingt beim Derby gegen Borussia Dortmund dabei sein. Natürlich bin ich enttäuscht, dass die Verletzung nicht rechtzeitig ausgeheilt ist. Das ist bitter. Vor allem, weil ich das nicht kenne, verletzt zu sein. Es war das erste Mal.
Fohlenecho:
Du warst nie verletzt?
David Degen:
Nein. Für mich ist praktisch eine halbe Welt zusammengebrochen. Das musste ich erst mal verarbeiten. Das Gefühl, nicht auf den Platz gehen zu können, kannte ich bisher nicht. Es macht mich fast wahnsinnig.
Fohlenecho:
Besteht dann nicht die Gefahr, dass du zu ungeduldig bist, zu früh zu viel willst?
David Degen:
Ich bin neu zur Borussia gekommen. Ich möchte endlich zeigen, was ich kann. Vielleicht ist es tatsächlich so, dass der Ehrgeiz ein bisschen zu groß ist. Ich gebe zu, dass ich nicht gerade ein geduldiger Mensch bin, aber alles was ich will ist: so schnell wie möglich spielen. Am liebsten würde ich 24 Stunden am Tag arbeiten, wenn es mir helfen würde, schneller wieder fit zu werden. Leider ist es aber nicht so und ich trainiere schon sechs bis sieben Stunden täglich.
Fohlenecho:
Wäre es eine Horrorvorstellung für dich, wenn deinem Bruder sogar ein Tor im Derby gelingen würde?
David Degen:
Das wäre, das wäre… Nein, das macht er nicht. Er hat in München sein Tor gemacht (zum 2:3 am 34. Spieltag der vergangenen Saison, Anm. d. Red.), dabei soll es bleiben! Ein Tor reicht! Wenn er trifft, dass wäre ganz schlimm. Ich hoffe, dass wir gegen Dortmund gewinnen. Egal wie, ein Sieg ist das Wichtigste! Wir müssen vor Dortmund bleiben, sonst bekomme ich die ganze Zeit wieder was zu hören.
Fohlenecho:
Von deinem Bruder nehme ich an. Ist das Konkurrenzdenken bei euch beiden so groß?
David Degen:
Nein, absolut nicht. Es gibt keinen Neid oder so was. Es ist ja nicht böse gemeint, wir verstehen uns super. Wir telefonieren bestimmt fünfmal täglich miteinander. Ich weiß alles über ihn, er weiß alles über mich. Wir unterstützen uns wo es geht, pushen uns gegenseitig.
Fohlenecho:
Trefft ihr eure persönlichen Entscheidungen zusammen?
David Degen:
Ja, wir besprechen alles miteinander, sind dadurch schlussendlich immer einer Meinung. Ich könnte nie irgendwas machen, was er nicht unterstützt – ganz klar. Umgekehrt ist das sicher genauso.
Fohlenecho:
Ihr seid jetzt in der Bundesliga zu Gegner geworden. Habt ihr jemals gegeneinander gespielt?
David Degen:
Ja, in der Schweiz. Ich habe für Aarau gespielt, Philipp für den FC Basel. Bei der ersten Aktion habe ich ihn damals umgesäbelt – nichts Schlimmes. Aber wenn wir auf den Platz gehen, vergessen wir, dass wir Zwillinge sind. Da ist er für mich ein Gegner wie jeder andere und so spiele ich auch. Natürlich ist er mein Zwillingsbruder. Wir haben ein sehr enges Verhältnis, aber auf dem Platz hört es auf. Wir schenken uns wirklich nichts, keinen Zentimeter. Er spielt für Dortmund, ich bin hier bei Borussia.
Fohlenecho:
Aber lieber habt ihr wahrscheinlich zusammen gespielt.
David Degen:
Ja klar, wir haben auch noch beide beim FC Basel zusammen auf der rechten Seite gespielt. Ich vorne, er hinten. Wir verstehen uns blind, wir spielen und denken gleich, wir wissen immer, was der andere gerade vorhat und macht, kennen unsre Stärken und Schwächen. Wir sind beide sehr offensiv, wollen immer den Ball haben, waren sehr dominant. Es lief dann natürlich viel über die rechte Seite, rückblickend vielleicht manchmal auch zu viel, aber es hat eigentlich auch immer ganz gut geklappt.
Fohlenecho:
In der Schweizer Nationalmannschaft könnt ihr vielleicht bald wieder zusamen spielen.
David Degen:
Das ist natürlich ein Ziel. Um dort Stammspieler zu werden, muss ich aber erstmal hier spielen, mich durchsetzen und meine Leistung bringen. Philipp ist das schon ein Stück weiter. Aber dort mit ihm zusammenzuspielen ist natürlich ein Traum.
Fohlenecho:
Hat es neben dem Zusammenspiel noch andere Vorteile, mit einem Zwillingsbruder auf dem Platz zu stehen?
David Degen:
Der Umgang unter Brüdern ist natürlich ein anderer, offener. Es gab Situationen, wo einer einen Fehler gemacht hat, da haben wir uns gegenseitig Dinge an den Kopf geworfen. Das würde ich mit keinem anderen aus der Mannschaft machen. Aber wir sind Zwillingsbrüder, wir verstehen uns sofort, wie das gemeint ist.
Fohlenecho:
Wollt ihr irgendwann wieder in einer Mannschaft spielen?
David Degen:
Das ist schon ein Wunsch, den man hat. Dafür muss aber vieles passieren. Momentan ist das auch absolut kein Thema. Mein Bruder spielt bei Dortmund und ich hier in Gladbach.
Die Fragen stellte
Patrik Domanski
Fohlenecho Ausgabe 3
22.9.2006